Hier gehts zurück nach Serbien.
42. Tag, 23. Juli
Vidin – Dobri Dol, 30 km
Wir starteten heute in Vidin bei Flusskilometer 792 und radeln bis 762.
Das Hotel Tangra in Vidin war super. Alles war in Ordnung und sauber. Als wir in einem kleinen Laden Wasser einkauften, kam der Brotliferant zu Pippilotta und schenkte ihr einen Laib Weißbrot. So schnell wie er bei ihr war, war er auch wieder weg. Kommentarlos.
Wir fuhren die Transitstraße raus aus der Stadt Richtung Lom. Radweg-Schild sahen wir nicht. Dass es keinen eigenen Radweg gab, darauf waren wir eingestellt. Wenn dann allerdings über der Straße auf großer Leuchttafel blinkt: „2018: 618 Dead. Drive reasonable“, kann einem schon SCHIACH werden. Aber der Verkehr war mässig, die zahlreichen LKWS bremsten wenn nötig und hielten Abstand.
Dass Bulgarien so anders sein würde als Serbien, zumindest einmal der erste Eindruck, hatten wir nicht erwartet. Wir hatten wir den, dass sehr viele Menschen sehr frustriert sind. Iliev, unser Helfer in Bregovo, sagte, dass die Serben die Bulgarien dafür hassen, dass sie in der EU sind. Komisch. In Serbien waren die Menschen so engagiert, so lebensfroh und geschickt darin, aus dem was da ist, etwas zu machen. In Bulgarien schien das Gegenteil der Fall zu sein:Es wird auf bessere Zeiten gewartet, vielleicht auf Hilfe die vom Himmel fällt, vielleicht vom EU-Himmel. Hier scheint niemand sich selbst für sein Glück zuständig zu fühlen.
Endlich erreichten wir eine etwas kleinerer Straße. Die Sicht auf die Donau war vom permanenten Hochwasserschutz verhindert.
Es war nicht viel Verkehr und auffallend viele Wägen mit Autoanhänger fuhren an uns vorbei.
Zwischen den Dörfern Botevo und Arcar kamen wir an einer Imbissstube vorbei. Der Sopska-Salat war gut, die Mini-Fische auch, die Getränke sowieso von den immer gleichen internationalen Konzernen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir in Serbien und den Ländern davor mit so einer trostlosen, stumpfen Miene bedient worden wären. Auch viele der Autotransporteure machten Halt. Mehrere der Männer sprachen deutsch. Ja, sie holten Autos aus Österreich, aus Deutschland. Sie würden hier repariert werden und dann zum Teil wieder retour verkauft werden.
Wir machten kurz darauf in Arcar nochmals einen Stop. Das Dorf war primär von Roma bewohnt. Viele Gebäude standen leer. Pferdefuhrwerke kamen uns entgegen. Wir aßen Eis. Deutsch konnte in Arcar niemand. Englisch auch nicht. Auch nicht die fünfzehnjährigen Burschen, von denen wir es noch am ehesten erwarteten und erhofft hatten. Wir erlebten wir die Menschen überhaupt nicht so neugierig wie in den letzten Wochen. Nur Pippilotta musste geschützt werden, damit nicht ständig wer an ihr herum zwickte und durch die Haare wuschelte oder sie einfach hoch hob.
In der Früh hatten wir in Vidin zwei Hamburger getroffen, die nach Budapest unterwegs waren. Sie hatten uns ein Motel an der Ortseinfahrt vom Dorf Dobri Dol empfohlen. Der Besitzer sei freundlich und das Haus sauber.
Direkt vor dem Motel sahen wir das erste Eurovelo 6 Schild in Bulgarien. Gut, aber nach Lom fährt man ohnehin auf der Landstraße, da fänden wir auch alleine hin.
Das Motel Werner Ertl. Ein Familienbetrieb. Die Menschen waren freundlich, das Essen ok. Das Zimmer war allerdings nicht sauber und alles sehr abgewohnt. Zudem rann mehrfach kein Wasser im Bad. Mir grauste. Ich war damit beschäftigt, zu schauen, dass Pippilotta nicht allzu viel Dreckiges angreift. Ich wunderte mich, dass uns der Platz empfohlen worden war. Gegen Abend sahen wir, dass es vor allem eine Fernfahrer-Absteige war. Mehrere Autotransporter blieben stehen, Benzin wurde aus den aufgeladenen Neuwagen abgezapft. Freimütig wurde uns erzählt, dass die Autos nur aus Steuergründen einmal in Bulgarien registriert und dann wieder raus gebracht werden. Wer dabei was verdient und welche Gesetzeslücke da genutzt wird, blieb für uns unklar. Es war ein unangenehmer Platz. Hier stimmte irgendwas nicht.
Als Pippilotta schlief, planten Johannes und ich wie wir die Route weiter anlegen und wo wir nach Rumänien übersetzt wollen. In rund einem Monat werden wir im Donaudelta sein.
43. Tag, 23. Juli
Dobri Dol – Lom, 23 km
Motel Werner Ertl. Dobri Dol. Bulgarien. Zum zweiten Mal in meinem Leben lag ich mit irgendwelchen Flöhen im Bett. Online stehen zahlreiche negative Kommentare zu dieser Absteige. Ich fügte meinen hinzu. Herr Ertl tat überrascht, es komme immer jemand vom zuständigen Hygieneamt, die kontrollierten immer wegen der Tiere. Den Hamburgern vor uns habe das Zimmer gefallen. Er verlangte kein Geld für die Nacht. Wir verzichteten auf das Frühstück und schauten, dass wir weg kamen.
Zu meinen alten Flohbissen aus Lepenski Vir, die langsam aber doch heller wurden, waren in der Nacht einige neue in den Kniekehlen hinzu gekommen. Bin froh, dass sie mich lieber mögen als Pippi.
Werner Ertl. In Deutschland aufgewachsen, schimpft über die Roma im Nachbardorf und die Menschen, die 2015 nach Deutschland gingen und kriegt selbst nix besseres hin als diese verlauste, mieselsichtige Spelunke. Was lernten wir? Auch Hamburger können einem was vollkommen abstruses empfehlen. Also: ein Zimmer immer selbst anschauen und dann erst entscheiden. Das Problem dabei wird sein, dass es nicht einfach werden wird mit guten Unterkünften außerhalb der großen Städte. Wir werden zelten, gegebenenfalls auch ohne Campingplatz-Infrastruktur, wild.
Vor dem nächsten Dorfladen, in Slivata, frühstückten wir. In der Halle neben dem Geschäft wurde Tee getrocknet. Lindenblüten und noch was. Dann sahen wir, dass Vögel oberhalb der Blätter nisteteten. Hm. Menschen aus der Ortschaft kamen um Kaffee im Becher, einzelne Zigaretten und andere Einkäufe. Eine Mann interessierte sich näher für uns. Wir zeigten ihm auf der von Rosa gestickten Karte, die ich an meinem Korb hängen habe, unsere Route.
Dann ging es gut dahin, Mal etwas bergauf, Mal etwas bergab, entlang der kleinen, oft schattigen Straße bis nach Lom.
Es war Mittag als wir in Lom einradelten. Da! Rechts an der Donau, ein richtig gepflegter Park. Und endlich wieder ein Schild mit den Stromkilometern. Wir waren erleichtert, erfreut und hatten erstmals in Bulgarien das Gefühl, dass wir hier auch etwas bleiben wollten.
Die Dörfer bisher waren sehr armselig gewesen, viele der Häuser und Hütten, muss man fast sagen, in schlechtem Zustand, mit starkem Reperaturstau. Und wenn der Reperaturstau Mal sehr groß ist, dann weiß man halt bei mangelnden Ressourcen auch nicht mehr wo man anfangen soll. Überhaupt scheint dass Warten, Reparieren und Instandhalten, so wie wir es kennen, hier nicht zur wesentlich Alltagstätigkeit der Menschen zu gehören. Etwas zu Reparieren erfordert ein Gemisch an Kulturtechniken und Kompetenzen. Es ist etwas, dass über Generationen hinweg vermittelt wird und gepflegt werden muss, damit es erhalten bleibt. Mir kommt wieder die Hühner-Passage aus dem Buch „Die Hundeesser von Svinia“ von Karl-Markus Gauss in den Sinn. Er erzählt, dass im Rahmen eines Entwicklungsprojektes ein Dorf eine größere Schar Hühner samt Hahn bekommen hatte. Idee war die, dass man mit den Hühnern so wirtschaftet, dass man langfristig sowohl Eier als auch Nachwuchs und somit Fleisch habe. Als die Projektverantwortlichen das nächste Mal ins Dorf kamen, waren alle Hühner aufgesessen.
Das Restaurant Transimpek direkt am Donauländenpark war schick, das Essen schmeckte. Für Vegetarierinnen gab es etwas anderes als Gebackenen Käse, Pommes oder Salat: Risotto mit Gemüse. Ich lade mein Telefon auf. Erst einige Zeit später im Park komme ich darauf, dass ich beim Abstecken einen Teil der Steckdose mitgenommen hatte.
Wir strolchten im Park herum, probierten die zahlreichen Rutschen und rasteten im Schatten eines Baumes.
Wir fragten bei den Hotels nach einem Zimmer. Alle sagten, dass sie nichts frei hätten. Hm. Hatten sie Sorge, dass wir Flöhe mitbringen? Der große Park war sauber. Er gefiehl uns. Wir fragten einen Mann, der offensichtlich als Gärtner für die Anlage zuständig war. Kein Problem meinte er, hier kann man zelten und zeigte uns den Platz an dem es keine Sprenkelanlage gab. Erst kurz vor dem Dunkelwerden gingen die Lomer nach Hause und wir schlugen flott unser Zelt auf. Unsere Schlafsäcke, unsere kleinen Pölster, unsere Isomatten. Kein fremder Dreck und keine Flöhe. Wir waren froh!
44. Tag, 25. Juli
Lom – Kozloduj, 42 km
Unsere Nacht war sehr erholsam. Es gab zum Glück niemanden, den unsere Anwesenheit im öffentlichen Raum gestört hatte.
Die Speisekarte fürs Frühstück gab es zum Glück auf Englisch und Johannes wurde von der Kellnerin, weil er nach einem Croissant fragte, auf den Laden gleich nebenan verwiesen. Fürs Kind bestellte ich Melone, aber nein, sie bieß lieber dem Papa die Wurst aus der Croissant-Bosna, die er gekauft hatte, weil die Verkäuferin seine Anfrage „Sweet? Süß?“ freundlich nickend bejaht hatte. Wir sind ja in Bulgarien!
Dass die Straße aus Lom raus stark ansteigen würde, hatten wir gelesen. Es gab die tatsächlich kilometerlange Steigerung für uns in Kombination mit Hitze und Kopfsteinpflaster.
Die Architektur vieler der kleinen Häuser entlang der Stadtausfahrt war ansprechend. Schlichte, klare Formen, mit unterschiedlichen besonderen Gestaltungselementen, mit Rücksprüngen, mit Veranden, mit größeren verglasten Elementen. Aber bei fast allen Gebäude war, wie so gut wie allerorts hier, der Renvovierungsrückstau enorm, vielleicht überhaupt nicht mehr zu bewerkstelligen. Von außen wirkten sehr viel der Gebäude sehr desolat, auch diejenigen, deren Gärten bewirtschaftet und gepflegt waren.
Irgendwann waren wir oben, sahen auf Lom und die Donau hinunter und es ging superflach und abfallend dahin, ebenfalls viele Kilometer lang. So ein vergnügliches Radfahren. In Kovachica machten wir eine Trinkpause bei einer Tankstelle. Dass es der letzte mögliche Pausenplatz bis ins 30km entfernte Kozloduj sein würde, dachten wir zu diesem Zeitpunkt nicht.
Mehrere Schilder, die auf EU-geförderte Projekte verwiesen, waren entlang der Toure zu sehen. Aufgrund der kyrillischen Schriftzeichen erschloß es sich nur manchmal worum es ging: die Beseitigung wilder Mülldeponien, die Revitalisierung der Donaupromenade in Lom, die Schaffung einer Fußgängerzone.
Zu Hause haben wir einen Kriecherlbaum, und der trägt nur mäßig. Nach wie vor sind die Straßen von Kriecherlbäumen gesäumt. Seit Österreich gab es Kriecherlbäume entlang des Eurovelo 6. Und es gibt sie nicht vereinzelt, sondern unzählige. Und nur zwei, drei Mal sahen wir jemanden welche pflücken. Wie viele Tonnen ungegessener Kriecherl, dunkelrote, hellrote, orange und gelbe, bläuliche und violette, das sein müssen, von Österreich bis Bulgarien! Und die ganzen Wochen lang, seit Mitte Juni sind sie reif. Immer wieder blieben und bleiben wir stehenum ein paar zu essen.
Es ging gut dahin, flach und abfallend. Gorni Cibar sollte der nächste und einzige Ort auf der Strecke nach Kozloduj sein. Dort wollten wir Mittagspause machen. Es gab zum Ort wieder einen kilometerlangen Anstieg. Und dann lag der Ort abseits der Straße, unterhalb, was zusätzlich runter und dann wieder rauf bedeutet hätte. Darauf verzichteten wir. Wir wollten neben der Straße einen schattigen Platz suchen, an irgendeinem Feldrand, unter einem Kriecherlbaum eine Mittagsrast machen.
Nur wo? Es gab nix. Rund 18 km sind es von Gorni Cibar bis Kozloduj. Zwei, drei vermüllte Feldzufahrten, ein, zwei schattenlose „Pannenbuchten“ und sonst Gestrüpp und Gras, dass bis an den Fahrbahnrand und darüber hinaus in die Fahrbahn, wächst. Ein Aussichtspunkt in Richtung Donau war eingezeichnet auf der Karte. Es war einfach eine zugewachsene Straßenverbreiterung. Kein Platz war auch nur halbwegs tauglich um Pause zu machen. Pippilotta schlief nach der Eis- und Kriecherljause und so radelten wir ohne Unterbrechung bis Kozloduj.
Der Belag war weitgehend schlecht, zum Teil sehr schlecht. So etwas gibt es einfach bei uns nicht, dass eine überregionale Straße auf der mit 80, 90, 100 dahin gefahren wird, in so einem fahrunfreundlichen Zustand ist.
Als wir in die Stadt Kozloduj rein fuhren, kamen wir zufällig am Guesthouse Zora vorbei. Sauberes Zimmer, netter Frühstücksraum. 30€ inkl. Frühstück. Nachdem letzte Nacht ein öffentlicher Wasserspender unser Bad war, duschten wir besonders ausführlich, wuschen unsere Wäsche und genossen das saubere Zimmer.
Wir fragten auf der Straße, nach der Donau. Erst als wir nochmals auf der Karte schauten, verstanden wir die irritierten Blicke und etwas undefinierten Richtungsangaben der Leute. Kozloduj lag zwar an der Donau, endet aber davor. Zwischen Stadt und Donau war Gestrüpp, vielleicht auch Wald, jedenfalls keine Promenade an der man entlang schlendern und ein Eis schlecken könnte. Dringend wollen wir etwas Essen: zwei Lokale, die für uns eindeutig nach Gasthaus mit Gastgarten ausschauten, schenkten nur Getränke aus. Bei einer Loungeartigen Anlage, wo wir so etwas wie Burger, Bugette oder Toasts vermutet hatten, gab es außer den Getränken nur Popcorn. Eine Frau im Business-Kostüm mit perfektem Englisch, sagte uns, dass es überhaupt nur einen Platz gäbe, wo man hier hingehen und auch genießen könne – das Restaurant vom Istar, dem größten Hotel der Stadt. Leider hatte die Küche noch nicht offen. Unser Hunger wollte uns nicht noch über eine Stunde warten lassen. Am Ende landeten wir in Slav’s Taverne, das von außen nicht den Eindruck machte, als ob es überhaupt offen haben würde. Was für eine positive Überraschung! Das Essen schmeckte uns: Pommes mit Käse, gegrilltes Gemüse und eine üppige Schüssel griechischen Salat.
Einen Mann sahen wir, der hingebungsvoll seine Tomatenstauden und Paprikapflanzen betreute. Sonst fanden wir nix schickes oder gezielt gestaltetes. Die Stadt war zudem von einer großen Straßenbaustelle durchzogen. Die Gehwege wurden neu gepflastert, neue Laternen aufgestellt und vermutlich auch der Fahrbahn-Belag neu gemacht. Einen zentralen Platz schien es nicht zu geben. Wir schlenderten herum, saßen noch eine Weile am Popcorn-Platz und gingen zeitig ins Zimmer. Die heutigen Anstiege machten sich bemerkbar und ließen uns bereits vor dem Schlafen schon gerne im Bett liegen. Aber Pippilotta wolle noch raus. DRINGEND. Aha. Die Vergnügungspark-Geräte vor einem Wettcafé wollte sie nochmals ausprobieren. Ich hatte keine Münzen mit und freute mich, dass diese Geräte für sie einfach auch als Spielutensilien funktionierten: Motorroller fahren (ich machte die Motorgeräusche), wie die große Schwester, das Karussell-Pferdchen striegeln, den Karussell-Fisch füttern und mit dem Hubschrauber, den sogar ich toll fand, bis Australien fliegen. Die Gelsen beendeten unsere Tag im Freien und ließen uns flott zum Guesthouse Zora laufen.
45. Tag, 26. Juli
Kozloduj – Oryahovo, 33 km
In der Früh kontrollierten wir erneut, ob wir flohfrei waren, ob wir keine blinden Passagiere mitgeschleppt hatten aus der Flohburg. Nix. Keiner hatte neue rote Bißstellen. Meine Hundeflohbisse gingen nur sehr langsam weg und juckten extra-arg.
Im Guesthouse Zora gab es ein üppiges Frühstück: ein dickes Omlett mit Käse, einen Berg Toastbrot, Ayran, Pfirsiche und frisches Marillen-Smoothie für Pippi, der so dick war wie dünne Marmelade. Vor der Gastfreundschaft fürchteten wir uns jetzt manchmal. Kaum war der Ayran ausgetrunken, wurde schon noch ein weiteres Glas hingestellt. Wir sind so gewohnt, dass man zusammen ißt, was auf den Tisch kommt. Es fühlte sich sehr unhöflich an, den extra frischen Marillen-Smoothie, den Pippi nicht wollte, einfach stehen zu lassen. Hm. Und gestern am Ortsrand von Kozloduj schenkte uns ein Mann sicher rund 1,5 Kilo noch recht grüner Pflaumen. Lieb gemeint, aber das ist definitiv zu viel an unreifem Obst wenn man mit Fahrrädern unterwegs ist.
Bevor wir Kozloduj verließen, gab es noch eine Runde mit den „Vergnügungs-Geräten“ für Pippilotta. Einmal mit dem Hubschrauber mit Geld und dann noch ohne, so war es ausgemacht. Als wir uns mit dem Motorrad in eine fiktive Kurve legten, Pippi als Fahrerin und ich hinter ihr als Beifahrerin, kam eine Frau und steckte eine Münze rein. Ob es lange dauern würde, fragte mich Pippi, gar nicht erfreut. Tatsächlich kam die Frau nochmals als Pippilotta am Karussell saß und eigentlich ihr eigenes „Galopp, Galopp“ machen wollte. So geht das hier.
Eine lange Steigung führte uns aus Kozloduj raus. Die Straße ging oberhalb des AKW Kozloduj vorbei. Der Asphalt war sehr gut. Johannes meinte, dass der Straßenabschnitt wohl von der Atomlobby finanziert sei. Es ist eines der beiden Kernkraftwerke, die von Bulgarien betrieben werden. Wir vermuteten, dass die Aufschrift auf Schildern „nicht fotografieren“ bedeutete und ließen es lieber.
In Bulgarien gab es bisher keinen eigenen Radweg. Es gibt hier wirklich Wesentlicheres in dass die offensichtlich spärlichen Ressourcen fließen sollten. Man fährt einfach auf der Straße. Folge dessen sind Schilder auch nicht notwendig. Ein paar gibt es dennoch, die zur Orientierung wegen der Kilometerangaben nett waren.
Im Dorf Glozhene war Markttag. Wir kauften bei einer Frau, die ein paar Gurken hatte, ein paar Gurken. Während Pippilotta ihr damit eine Freude machte, weil sie gleich anfing, die Gurke aufzuessen, bekam Johannes Pflaumen von einem Mann geschenkt.
In den Dörfern durch die wir heute radelten, leben, soweit wir es sahen, keine Roma. Der Zustand der Gebäude war dennoch nur unwesentlich besser. Wir sahen zahlreiche leerstehenden Hallen, verlassene Fabriken und auch Einfamilienhäuser.
Wenn man so viel auf der Straße unterwegs ist wie wir derzeit, sieht man zwangsläufig viele tote Tiere, vor allem wenn es nicht so wie bei uns einen Streckendienst gibt, der sich auch um Tierkadaver kümmert. Immer wieder riechen wir den penetranten Geruch von Verwesung, ohne denn Kadaver zu sehen. Wann immer ich sah, dass wir bald an einem toten Tier vorbei kommen werden, versuchte ich Pippis Blick (und meinen) auf die andere Seite zu lenken. Oft funktionierte es, manchmal nicht und klarerweise beschäftigte sie das dann. Heute sahen wir einen toten Dachs. Warum das Auto nicht stehen bliebe, wenn der Dachs auf der Straße ist. Ob der lebendig werden würde, wenn man ihn, auf einer Schaufel, zum Tierarzt brächte. Warum er nicht schaut, wenn er über die Straße läuft. Und ein paar Kilometer später: Ob der immer noch dort liege. Ich hörte, wie Pippilotta hinter mir im Sitz „Tiere verarzten“ spielte. Der Schmetterling, der in ein Auto geflogen war, bekam neue Flügel, der Igel schaute immer „links und rechts und links und rechts“ bevor er über die Straße lief und der tote Dachs wurde eingegraben, „wie Fritz Frosch“ in einer Geschichte von Mira Lobe.
In der Früh sahen wir eine weiße Ziege zwischen Wohnhausblöcken fressen, immer wieder sind Pferde zu sehen, die im hohen Gras, meist mit Strick angepflockt, sich ihr Fressen suchen.
Im Dorf Mizia machten wir Pause. Am großen Dorfplatz stand hier kein Soldat, kein kommunistischen Monument, sondern eine Muse mit Krug und Schüssel mitten im Brunnen ohne Wasser. Die Uhr, vielleicht am Turm des Gemeindeamtes, ging richtig und im Kaffeehaus neben dem Wettbüro, wo wir etwas tranken, wurde bei einer Kindergeburtstagsparty soeben die Spritzkerze entzündet.
Die Strecke von Mizia nach Oryahovo ging gut flach dahin. Sogar die Donau kam wieder in unser Sichtfeld.
Im Hostel By the River, nahmen wir ein Zimmer. Es war geräumig und sauber. Was will man mehr. Das Zimmer gegenüber bewohnten Scal und Thilo, die mit dem Kanu hier angekommen waren. Drei Jahre haben die beiden jungen Deutschen Zeit um um die Welt zu reisen. Zum Teil solle es zu Fuß gehen, derzeit allerdings seien sie mit dem Kanu unterwegs in Richtung Israel, wo sie überwintern wollen.
Der kleine Ort Oryahovo zog sich weit den steilen Hügel hinauf. Große leerstehende Gebäude, mit fehlenden bzw. zerschlagen Fenstern prägten das Ortsbild. Wir suchten ein Lokal, fanden eine Bar, die auch Speisen hatte. Zufällig kamen Scal und Thilo vorbei und setzten sich zu uns. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir mit gleichem Tempo unterwegs waren und wir uns erst in Tulcea vorerst entgültig voneinader verabschieden werden.
Pippilotta verwandelte den Kreis der EU-Länderflaggen zum Logierplatz für ihr fiktives Pferd, wurde zu Scal, die um die Welt reist, von Flagge zu Flagge und schrie plötzlich wie von der sprichwörtlichen Tarantel gestochen. Ein für unsere Vorstellungen arg großer Käfer hatte sich auf ihren Unterarm verirrt. Zum Glück war er schnell wieder abgeschüttelt. Er saß dann lange, vielleicht erschrocken über seinen Ausflug, am Betonfuß einer Bank, sodass wir ihn ganz genau anschauen konnten.
Bis um 22 Uhr hatte der kleine Laden offen. Der Besitzer half uns mit etwas Englisch die richtigen Produkte zu erwischen. Habe ich erzählt, dass wir statt einen halben Liter Joghurt schon einmal Sauerrahm im Proviant hatten?
Gut, dass es zum Hostel By the River nur bergab ging. Aber der Radweg Morgen früh wird uns nochmals einen Teil der steilen Strecke hinauf führen.
46. Tag, 27. Juli
Oryahovo – Bajkal, 55 km
Mit Scal und Thilo, die am Anfang ihrer dreijährige Weltreise sind, frühstückten wir am noch schattigen Balkon. Von ihnen erfuhren wir, dass die Kopfbewegungen für JA und NEIN in Bulgarien genau andersrum als bei uns zu verstehen sind. Vielleicht erwischen wir deshalb immer Wurst-Croissants anstatt die „ohne alles“.
Es war klar, es wird ein heißer Tag werden. Mit nass gemachten Sonnenhüten, Blusen und Pippiottas „Tucherl“ radelten wir los. Von unserer Unterkunft ganz unten an der Donau ging es einige Kilometer steil bergauf. Auch nach dem Ortsende von Oryahovo stieg die Straße stetig an. Eine freundliche Frau schenkte uns einige sehr saftige Pfirsiche aus ihrem Garten. Nicht nur Kriecherl / Mirabellen, begleiten unseren Weg seit Österreich, sondern auch Walnussbäume. Dass es so viele Walnussbäume gibt, faszinierte mich. Noch sind sie nicht reif, aber die ersten reifen Haselnüsse hat Pippilotta bereits vernascht.
Endlich schienen wir die finale Höhe der Straße erreicht zu haben, aber die Aussichtsplätze waren alles andere als einladend. Ein Thema, dass sich für uns bisher durch ganz Bulgarien zieht: Etwas schön herzurichten, etwas liebevoll gestalten, regelmäßig mit Aufmerksamkeit bedenken, sodass es gepflegt bleibt, hat hier anscheinend keinen Wert, keine Tradition. Wir fanden den ganzen Tag keinen Platz, der zum Verweilen einlud, weder in den Ortschaften noch auf den Strecken dazwischen. Es gab keine gemähten Wiesen, keine Bankerl, keine Picknick-Tische, keine großen Steine oder was auch immer, das ein gemütlicher Rastplatz hätte sein können. Selbst einfach einen Platz zum Hinsetzten im Schatten zu finden, war schwierig.
Rund um die rege frequentierte Wasserstelle in Leskovec, war es zugemüllt und verdreckt. In Ostrov, einer Ortschaft, die sich wieder hoch den Hügel hinauf zog, wollten sich nicht einmal Störche ansiedeln (am aufgestellten Nestunterbau links oben Bild). Unser Schmäh war heute schon sehr sarkastisch.
Heute sahen wir so viele Pferdefuhrwerke, ein Fuhrwerk mit Esel, wie noch nie. Viele waren gerade im Einsatz, mit Grasfuhren unterwegs. Ob diese Menschen auch was davon haben, dass Bulgarien bei der EU ist, fragten wir uns.
Das einzig interessante in Ostrov war der Laden, den es zum Glück gab. Er wurde von zwei alten Frauen, vermutlich die Besitzerinnen, geführt. Er war sehr gepflegt und mit komplett altem Mobiliar ausgestattet. Es gab alles. Wir kauften ein Gummiband um für das Einhorn einen neuen Sicherheitsgurt, der andere ist unterwegs verloren gegangen, machen zu können.
Wir waren erschöpft. Pippilotta nicht. Sie hatte gerastet, schleckte ihr Eis und fragte, ob das ein Ort sei. Wir waren uns auch nicht sicher. Wir fragten die Menschen, die mit einem gelben Taxi unterwegs sind, ob es hier ein Taxi gäbe. No. No. Kein Taxi. Wir waren uns nicht sicher, ob sie einfach nicht wollte oder ob ihr Fahrzeug einfach ein ausrangiertes Taxi war. Aber wäre dann das Taxi-Schild noch oben? Ich ging zu einem Auto mit Ladefläche, sagte dass wir ein Taxi bräuchten und machte eine „Bezahl-Geste“. No. No. No. Seine Frau, die mit Eis aus dem Geschäft kam, bestätigte noch bevor sie überhaupt hören hatte können worum es ging: No. No. No. Ich dachte an die geschäftstüchtige Frau in Stari Slankamen. Hier will keiner etwas mit uns zu tun haben. Nur der Bursche, der irgendwie zum Geschäft zu gehören schien, führte uns seine Radkunststücke vor.
OK. Wir radeln weiter.
Immer und immer wieder ging es bergauf, obwohl es rundherum mehr als flach war und wir nicht verstanden, wie es überhaupt möglich sein konnte. Dazwischen ging es auch flach dahin und bergab. Oft blieben wir in den kleinen Schatten von Bäumen stehen um zu verschnaufen, zu trinken und unsere Sonnenhüte neu einzuwässern. Die Landschaft war schön. In Krushovene gab es einst ein Eurovelo 6 Hostal. Jetzt nicht mehr. Die zwei französischen Radreisenden, die ebenfalls gerade im kleinen Geschäft einkauften – wann trafen wir das letzte Mal Radreisende? – sagten, dass sie noch bis Bajkal fahren, dort gäbe es ein Hotel. Phu. Klingt vielversprechend. Aber eigentlich konnten wir nicht mehr. Johannes fragte nochmals im Geschäft, ob es hier keine Möglichkeit zum Übernachten gäbe. Einfach einen Platz an dem wir das Zelt aufstellen könnten. No. No. No. Ob wir da drüben im Park (wobei man sich diese Fläche nicht als Park in unserem Sinn vorstellen darf) campen könnten. No. No. Bajkal, da gäbe es ein Hotel.
OK. Die sieben, acht, neun, Kilometer – man war sich nicht ganz sicher, sollten flach dahin gehen. Wir radelten nach Bajkal, ganz bis ans Ende des langestreckten Dorfes, bis zur Bootsanlegestelle. Ein großes EU-Förderungen-Schild, eine Schenke, ein leerstehendes Haus und ein leerstehendes Objekt, ein Hotel?, hinter einer Mauer. Hm. Vom Lokal wurde uns gedeutet. Eine Frau mit eingeschlafem Gesicht kam aus der Kneipe, ging ohne Worte an uns vorbei. Irgendwie verstanden wir, daß wir mitkommen sollten. Ob es ein Hotel gäbe. Ein Zimmer. Bungalows. Aha. 10€ pro Person. Ohne Frühstück. Wir teilten das „Bad“ mit dem Paar aus Frankreich. Der Zustand des Häuschen war miserabel. Wieder eine schiache Unterkunft, wie bei den Flöhen, sagte Pippilotta und fragte ob sie mit Seife duschen dürfe.
Bulgarien. Bisher konnten wir uns damit nicht anfreunden.
47. Tag, 28. Juli
Bajkal – Nikopol, 55 km
Das Gute an den grauslichen Unterkünften war, dass wir in der Früh froh waren, losradeln zu können. In Bajkal war es definitiv wieder so. In der Nacht hörte ich eine Gelse. Mit der Stirnlampe suchte ich nach ihr und fand sie auch. Sie hatte sich in einem Spinnennetz in einer Zimmerecke verfangen.
Nach dem sehr improvisierten Frühstück in Bajkal, blieben wir im Dorf Zagarazhoen gleich auf ein weiteres improvisiertes Frühstück stehen. Richtig gute Bäckerei-Produkte, so wie wir das kennen und uns am Sonntag zum Frühstück wünschen, gab es nicht. Es gab auch kaum Kaffehäuser, die wir in Österreich schon sehr mögen. Manche Geschäfte hatten Sitzplätze, also eine Art Gastgarten, dabei.
Der Dorfplatz von Zagarazhoen war sauber und gepflegt, die Geräte und Bänke am Spielplatz und in der Bushaltestelle ganz neu frisch fröhlich gestrichen.
Die Tagesstrecke ging flach dahin. Schon die letzten Tage war nur spärlich Verkehr auf unseren Radweg-Straßen, heute Sonntag noch weniger. Esel und Pferde sahen wir neben der Straße angepflockt rasten und fressen. In der Gegend gab es Milchkühe und vor allem Felder mit Mais und Sonnenblumen. Wie hier die Verteilung von Grund und Boden funktioniert, wissen wir nicht. Die Menschen, die mit den Pferdefuhrwerken unterwegs waren, werden nicht die Grundbesitzer der großen Felder sein. Die großen Felder sind eingebettet zwischen Stauden und Brachland, Feldraine und Buschwerk. Natur ohne Zweck hat hier viel Platz.
Heute pflückten wir übrigens die ersten reifen Zwetschgen.
Auf der Suche nach einem Platz für unsere Mittagspause, sahen wir eine Terrasse mit Tischen. Noch bevor wir unsere Räder geparkt hatten, umlagerten uns fünf Mädels. Sie umwuselten uns, richteten ihre und unsere Sessel um einen Tisch zurecht, sprachen kein Englisch, bestaunten die schon müde und stille Pippilotta und unsere Jause. Ich versuchte ihnen in Grundzügen von unserer Radreise zu erzählen, bzw. etwas aufzuzeichnen. Sie interessierten sich für unsere Namen, unser Alter und machten Faxen.
Die Besitzerin des Ladens hatte in Malaga / Spanien gelebt und freute sich mit mir spanisch sprechen zu können. Vor den Mädels, es waren Roma, warnte sie uns „… ellos quieren robar…“ (sie wollen fladern). Wir hatten kein schlechtes Gefühl. Die Mädels hatten ihren Spaß mit uns und wir mit ihnen. Wir versuchten ihnen vom Blog zu erzählen, dass sie hier das Foto, das wir machten finden werden. Ich war mir nicht sicher was sie verstanden hatten und was nicht. Jedenfalls war es eine vergnügliche Mittagspause im Dorf Guljanci.
Bevor wir nach Nikopol kamen, gab es im Dorf Somovit noch einen heftigen Anstieg zu bewältigen, der mit beeindruckenden Donaupanoramen belohnt wurde. Rumänien ist in dieser Gegend, wie es auf den Fotos zu sehen ist, komplett flach. Solche Eindrücke gibt damit dort nicht.
Wir sind immer wieder beindruckt, wie ausdauernd Pippi am Rad sitzt. Nie fragt sie danach, wann wir endlich da sind. Fragt gelegentlich nach ihrer Wasserflasche, nach Essen und erzählt mir, vor allem aber sich selbst, Geschichten. Das Einhorn, seit gestern Abend hatte es ja wieder einen Sichheitsgurt und kann wieder um Pippilottas Hals hängen, klettert gelegentlich auf meinen Rücken, manchmal werde ich mit dem Helm „gebockerlt“ und krieg irgendwas hinaufgezeichnet. Manchmal schieben sich Arme oder auch Beine unter meine Bluse. Abends braucht es dann noch ausreichend Zeit für Bewegung. Die bulgarischen Betten mit Federkernmatratzen eignen sich bestens als Trampolin.
Um vier Uhr waren wir in Nikopol. Wir wollten unbedingt wieder einen Platz erreichen von dem wir wussten, dass es ein ordentliches Hotel gibt. Das Gold Hotel war super! Einfach und sauber, mit Frühstück und Restaurant im Haus. Ein Herr empfing uns. Er schient für alles zuständig zu sein: Rezeption, Kellner, Fahrräder verräumen und Telefon. Zum Glück machte er seine Arbeit mit freundlichem Gesicht und großem Eifer.
Nach dem Essen radelten wir zur Donau. Immer wieder waren auf unsere Radkarte Badeplätze an der Donau eingezeichnet, die aber nicht existieren, zugemüllt oder zugewachsen sind. In Nikopol war keiner eingezeichnet, aber es gibt einen richtigen, benutzbaren Strand! Morgen, wir machen einen Tag Pause, werden wir nochmals hingehen!
48. Tag, 29. Juli
Nikopol
Die nächtliche Geräuschkulisse war sehr intensiv gewesen. Wildes, vielstimmiges und ausdauerndes Kläffen und Heulen der Hunde aus allen Richtungen, etwas das nach muslimischem Hebetsruf klang und gegen Mitternacht drosch jemand unweit des Hotels auf ein Blechtor. Und dann gibt es noch die Autos, die starteten und bremsten und fuhren. Donner und Regen weckten uns am Morgen. Wir hatten ohnehin einen Rasttag in Nikopol geplant.
Für Pippi kauften wir Flip Flops. Johannes musste seine jetzt ständig mit ihr teilen und barfuß laufen. Die Flip Flops zu bekommen, war nicht einfach. Im einen Laden gab es nur Spiderman und Eisprinzessin in der passenden Größe und dagegen bin ich allergisch.
Wir radelten zur China-Gemischwarenhandlung. An der Eingangstür erklärte ich der Frau mit Gesten was wir suchten. No. No., sagte sie mit strengem Ausdruck. Ich verstand, dass sie so kleine Schuhe nicht habe, sah aber in den Regalen hinten im Laden durchaus passende Größen. Sie zuckte mit den Achseln und ließ uns hingehen. Es gibt von allen Modellen jeweils nur die Größe, die da liegt. Pippi fand zwei passende Modelle und war glücklich. Die Mimik der Frau wirkte so, als ob es ihr lieber gewesen wäre, wir wären draußen geblieben. Irritierend. Auch dass man einander freundlich anschaut und grüßt scheint hier nicht üblich zu sein. Es fällt uns auf, wenn jemand freundlich winkt oder uns angrinst.
Nach dem das Frühstück im Hotel, das gut aber streng rationiert war, probierten wir zwei Kaffehäuser. In einem gab es sogar Mehlspeisen. Es war Selbstbedienung. Der Mann hinter dem Tresen bewegte sich für mein Verständnis auffällig langsam und umständlich. Ich war eigentlich die nächste in der Warteschlange, wußte aber nicht, ob ich tatsächlich dran war, weil er mit mir keinen Blickkontakt aufnahm. Die Frau hinter mir machte eine kleine Kopfbewegung, so wie „Mach schon“. Ich sagte, was wir wollten. Mehrfach drehte der Mann sich hin und her, machte einen Schritt links, zwei rechts, vom Regal mit den Untertassen hin zur Schachtel mit den Löfferl, wieder retour zu den Tassen, wendete sich zwei Frauen zu, die ebenfalls etwas wollten, redete mit ihnen. Irgendwann waren unsere Getränke zubereitet und die Mehlspeisen herausgestellt, jeweils mit einer Gabel tief im Teig steckend, wie abgestochen. Sogar für Bewegungsabläufe von Menschen an der Bar sind wir bestimmte Tempo gewohnt und es irritiert, wenn ein Kellner, eine Bedienung nicht flott und zackig unterwegs ist.
Bulgarien beschäftigt uns.
Autos, deren Herkunft noch sichtbar sind, sehen wir immer wieder. Lustig irgendwie. Manche davon würden bei uns kein Pickerl mehr bekommen. Johannes wat fasziniert, dass er all die Autos, die er im Laufe seines Lebens bereits besessen hatte, hier noch im Einsatz waren: ein Opel Ascona, ein C-Kadett, ein Peugeot 306, ein Zweier Golf, …
Wir erkundigten uns wegen der Fahrzeiten der Fähre nach Turnu Măgurele, die Stadt die gegenüber von Nikopol am anderen Donauufer liegt. Morgen wollen wir hinüber und die kommenden Tage in Rumänien radeln. Heute erkundeten wir Nikopol und waren am Strand.
Nur zwei Väter mit Kindern waren auch da. Und ein Hirte mit seinen Kühen. Während Pippilotta unter meinem wachsamen Auge in der Donau plantschte, ging Johannes fotografieren.
Das Restaurant des Hotel Gold hat Platz für gut 100 Leute. Heute war außer uns nur ein Paar zum Abendessen da. Wir bestellten den Balkan-Standard-Salat: Schopska Salat und zwei Gerichte, von denen ins die Liste der Zutaten anspricht, wir aber nicht wussten was es ist. Auf dem Flachbildschirm liefen Musikvideos der 80er und 90er Jahre: Zwischen Tina Turners Golden Eye und All right now von Free klingt Live is live.
Sach. Unter dieser Überschrift standen unsere Gerichte. Wir würden es als Überbackenes Gemüse (mit und ohne Fleisch) mit Sauerrahm-Soße bezeichnen. Es war sehr lecker und sehr viel.
49. Tag, 30. Juli
Nikopol (Bulgarien) – Suhaia (Rumänien), 48 km
Wir verbrachten einen gemütlichen Morgen am Spielplatz und in der Stadt sowie am Strand. Während Pippilotta viel Arbeit damit hatte mit kleinen Stöckchen tote Ameisen mit Flügeln von den Spielgeräten zu putzen, beobachteten Johannes und ich die Diskussion über das uneben verlegte neue Steinpflaster. Man brauchte kein Fachmann und auch keine Fachfrau zu sein, um zu sehen, wo sich nach dem ersten Regen das Wasser sammeln würde. Die Arbeiter wirkten betroffen, der Projektleiter rauchte, gestikulierte und telefoniert. Den Ausgang, ob das Pflaster nochmals raus musste oder nicht, warteten wir nicht ab, radelten nochmals zum Donaustrand, sahen ein LINZ Frachtschiff fahren und Pippilotta bereitete Salat in einer Donaumuschel zu. Zudem hielten wir mit dem Monokular Ausschau nach Scal und Thilo, den beiden Weltreisenden aus Deutschland. Sie wollten, wenn alles gut läuft, gegen Mittag nach Nikopol gepaddelt kommen.
Wir hatten mehrfach die Info bekommen, dass die Fähre von Nikopol hinüber nach Rumänien zum Ort Turnu Māgurele, um 8, 12 und 16 Uhr fährt, sahen aber sowohl gestern als auch heute morgen, dass sie viel öfter, anscheinend immer bei Bedarf, übersetzt.
Gerade noch vor der Fährte entdecken wir Scal und Thilo, winkten und riefen und freuten uns, die beiden gesehen zu haben. Wir sind ungefähr im gleichen Tempo unterwegs, schaffen die gleichen Tagesetappen und hoffen, sie nochmals zu treffen.
Mit der Fähre setzten wir nach Rumänien über. Nikopol – Turnu Māgurele: Erst seit 2008 gibt es diese Verbindung, die derzeit von zahlreichen LKWs genutzt wird.
Gelegentlich hatte ich den Eindruck, wir radelten von Spielplatz zu Spielplatz. In Turnu Māgurele machten wir am Spielplatz Mittagspause. Die Straße in die Stadt sowie der Spielplatz waren mit vielen alten Bäumen beschattet. Und, es war heute Dienstag, am Spielplatz wuselte es von zahlreichen Kindern und Erwachsenen. Pippilotta testet die verschiedensten Rutschen, Schaukeln und ein kleines Karussell.
Mir fiel auf, dass hier die Mädels und Jungs nicht streng ihrem Geschlecht entsprechend gekleidete waren. In den letzten Tagen in Bulgarien sahen wir immer wieder das Gegenteil davon: Kleine Burschen im Macho-Look, Mädchen im Prinzessinnen-Outfit. Natürlich sind das Verallgemeinerungen, aber eben unsere bzw. meine allgemeinen Eindrücke.
Auf der Landstraße 52 radelten wir bei geringem Verkehrsaufkommen flach dahin. Es ging von Dorf zu Dorf bis Suhaia, wo wir im Gästehaus Edelweiss ein Zimmer reserviert hatten. Durch die Dörfer zu radeln war wieder sehr interessant. Es war auf der nördlichen Seite der Donau wieder einfach einen Platz für eine Pause zu finden, ein schattiges Bankerl unter einem Baum.
Viele Menschen waren auf der Straße, saßen vor ihren Häusern, vor den Gärten, zur Straße hin, gingen herum, sprachen miteinander. Manche zupften an Blumen und am Gras, einer mähte mit der Sense am Straßenrand, sein Pferd mit Wagen stand neben ihm. Vor einem Haus wurden Kriecherl/Mirabellen aufgesammelt.
Rumänien erschient uns (im Vergleich mit den vergangenen Tagen) bunt. Die Zäune, die Dächer, die Fassaden, die Tore, alles wirkte farbiger und lebendiger. Sicher, es gab auch Leerstände, aber nicht so ankklagende, nicht so trostlose.
Die Gärten rund um die Häuser waren richtige Nutzgärten, vollgepflanzt zur Selbstversorgung. Zwischen den Obstbäumen wuchsen Tomaten- und Paprikastauden und anderes Gemüse. So gut wie bei jedem Haus sahen und hörten wir Hühner, immer wieder liefen Scharen von Truthähnen und Gänsen neben und auf der Straße.
So viele Störche! Störche, die in ihren Nestern stehen, Störche, die über die Wiese stelzen, Störche, die fliegen. Alle paar hundert Meter sahen wir entlang der Straße in den Dörfern Storchennester.
Im Grasland und entlang der Straße weideten Kühe und Ziegen, Esel und Pferde.
Ein Bursche mit 14, 15 Jahren, eine Kabeltrommel hatte er an der Lenkstange hängen, radelte kommentarlos zwei, drei Mal ein Stück neben uns her um dann mit breitem Grinsen davon zu preschen. Zwei, drei Kindern rannten zu Straße, streckten ihre Hand aus um unsere abzuschlagen.
Die Zwetschgen waren reif! Wir blieben immer wieder stehen um ein paar zu pflücken.
Auf offener Landstraße hielt ein Mann sein Auto an: wohin wir fahren, woher wir kommen, das Kind, das Kind – das reisende Kind beschäftigte ihn, ohne konkrete Frage, wie weit wir täglich kommen und wo wir schlafen. Alles ging mit Gesten und einigen Worten in gemischter Sprache: rumänisch, englisch, deutsch und spanisch. Ja, mein Spanisch half mir wieder.
Im Dorf Trajan saßen zwei alte Frauen an der Bushaltestelle. Eine kam gleich her als ich stehen blieb. Florica. Sechs Kindern habe sie, erzählte sie mir auf Spanisch, alle leben sie in Spanien und Frankreich. Ja, sie sei immer wieder bei ihnen, auch für längere Zeit, aber hier sei sie allein, so wie ihre Freundin, die sie von Kindheit an kenne, deren Mann auch bereits verstorben sei. Pippilotta starrte ihr in den Mund, in dem nur noch wenige Zähne waren. Ja, die Zähne, lachte sie, als sie Pippilottas Aufmerksamkeit bemerkte, wie ein Baby, aber Zähne kosten viel Geld, das könne sie sich nicht leisten. So sei das, sagte sie und wünschte uns eine gute Weiterfahrt.
Im Torf Trajan wurden zu vielen alten Häuser neue gestellt. Viele davon blieben ein Rohbau.
Mit einem angehenden Polizisten kamen wir ins Gespräch. Neunzehn sei er und im Oktober mit der Ausbildung fertig. Für seinen Beruf brauche er das gute Englisch. Ob wir etwas bräuchten, fragte er uns. Nein danke, sehr freundlich, aber wir haben alles!
In Suhaia fuhr ein Mann ein Stück mit dem Auto vor uns her, bis zum Gästehaus Edelweiss. Von Gabriele und seinen Eltern, die ganz entzückt über Pippilotta waren, wurden wir empfangen. Essen wurde zubereitet, Pippilotta flitzte im Garten umher: Katzen, Hängematte, Zwetschgen. Wir konnten unsere Wäsche waschen und vor dem Schlafengehen nahmen wir das erste Mal seit Reisebeginn ein Bad: das Einhorn, Pippilotta und ich.
Vom 1. bis zum 4. August verbrachten wir nochmals Zeit in Bulgarien, in der Stadt Ruse, über die auf der Rumänien-Seite zu lesen ist.