12. Tag, 23. Juni
Šturovo – Nagymaros, ca. 30 km
In der Nacht hatte ich mir noch nicht vorstellen können, wie es bei dem Regen mit all dem nassen Zeug funktionieren wird. Es ging ganz einfach: eine Packtasche leer räumen, alles was nass ist rein, schauen, dass man selbst und das Kind trocken bleibt, das Zelt vom Spritzdreck reinigen, ebenfalls nass verpacken, auf die Getreideflocken zum Frühstück verzichten und vom Campingplatz-Bäcker ausreichend leckere Mehlspeisen besorgen. Fertig.
Zumindest vorerst jedenfalls. Wir hatten Glück, es regnete im Laufe des Tages nicht mehr und wir nahmen uns in Nagymaros ausreichend Zeit um die Sachen zu trocknen.
Nach nur 172 Donaukilometern in der Slowakei passierten wir die zweite Staatsgrenze. Die DUNAJ wird zur DUNA. 417 km fließt sie durch Ungarn.
Die Strecke via Esztergom war überraschend schön, abwechslungsreich und gut beschildert. Eine Stelle gab es, die eine Art „Zikaden-Grenze“ zu sein schien: Mit einem Mal prägte ihr Zirpen, der Sound von Sommer im Süden, die Klangkulisse.
Bei Szob setzten wir mit der Fähre wieder ans linke Ufer über und fanden bei Zebegeny einen schicken Rastplatz direkt am Radweg.
Nach zwei Nächten im Varnas Resort war der Campingplatz in Nagymaros eine Wohltat: Ganz hinten lagerte eine Familie im Dauercampingwagen, unweit von uns ein Paar, das sich im Bus vergnügte, dann waren wir und aus. Und anstatt slowakischer Pop-Volksmusik begleitet von gröllenden Betrunkenen, gab es nächtliches Hundegebell und Froschkonzert. Gut, Züge ratterten recht nahe vorbei, aber so pingelig wollen wir da jetzt nicht sein. Vor allem war der Platz einfach schön. Ein kleiner Motorboot-Hafen trennte uns von der Donau und am gegenüberliegenden Ufer erhob sich die Burgruine Visegrád.
13. Tag, 24. Juni
Nagymaros – Szentendre, 33 km
Den Weg konzentriert im Auge zu behalten war heute dringend notwendig. Zwar war die Route über weite Strecken asphaltiert, aber von Querrillen und Längsrillen, Niveauunterschiede von Ausbesserungsarbeiten, Aufwölbungen über Baumwurzeln, unerklärlichen Löchern, Schotter und Schlamm vom letzten Regenschütter bis hin zu weit in die Fahrbahn hängenden Brennessel und Äste war alles zu haben. Wenn man sich dann die Fahrbahn mit dem regulären Verkehr teilt, der rechte Meter der Fahrbahn und das breite Bankette aber in derart miserablem Zustand sind, der sie unbefahrbar macht, wird’s ein richtiger Nervenkitzel.
In Vác machten wir eine längere Pause und setzten mit der Fähre wieder an rechte Ufer über.
Auf der Höhe von Stromkilometer 1667, wir radelten am rechten Nebenarm, entschieden wir uns für den Pap-Sziget Campingplatz. Er liegt auf der Insel, die Szentendre vorgelagert ist. Mit altem Baumbestand, Wohnkabinen auf Stelzen, einem kühlen Schwimmbecken direkt an der Donau und nächtlichem Multikanal-Froschkonzert ist der Platz absolut empfehlenswert.
Ob viel der Anstrengungen, die unsere Reise mit sich bringt, in dem Blog-Texten unter gehen, wurde ich gefragt. Ja und nein. Von der Kraft her geht es sich mit den Kilometern die wir fahren locker aus. Konfliktreich war unsere Beziehung sowieso noch nie, Leonie war rasch an den Rhythmus unserer Reisetage gewöhnt, ihr Anhänger taugt ihr, die Campingplätze und das Zelt als Zuhause ebenfalls. Sie ist mehr bereit sich auf Johannes einzulassen als zu Hause. Es ist relativ klar, wem was wichtig ist, und wer folge dessen was entscheidet. Einerseits bringt unsere Art des unterwegs seins ein Gefühl von Freiheit mit sich. Andererseits braucht es einiges an Disziplin und Struktur: Räder im Auge behalten und warten. Packtaschen struturiert befüllen, Essenvorräte gut kalkulieren, die wenige Wäsche möglichst sauber halten. Hinzu kommt, dass man ständig spontan auf das reagieren muss, was man vorfindet, an Infrastruktur, an Lebensmittel in der Packtasche mit der imaginären Aufschrift „Schwarze Kuchl“, und das alles in Kombination mit dem übergeordneten Ziel, den Eurovelo 6 ans Schwarze Meer zu radeln. Die Gelsen sind eine kontinuierliche Plage (der erste Spray ist bereits verbrauccht), die Streckenabschnitte ohne Asphalt sind mühsamer als man meinen könnte, im Zelt auf/ab- bauen sind wir schon routiniert und eine ziemlich gleichbleibend Packordnung hat sich auch etabliert. All das ist mit den Bedarfen von Leonie abzustimmen. Wer will lieber ins Büro gehen und wer mit uns tauschen?
14. Tag, 25. Juni
Szentendre – Budapest, ca. 28 km
Während links und rechts von mir noch geschlafen wurde, kletterte ich frühmorgens möglichst geräuschlos aus dem Zelt um einige Runden im kühlen Becken mit Donaublick zu schwimmen. Herrlich!
Wieder packten wir unseren Hausstand. Heute ging es in die Hauptstadt. Wir hatten nicht vor uns Budapest zu widmen, sondern gleich im Süden der Stadt einen Campingplatz zu suchen. Um wieder einmal in Budapest zu sein, werden wir lieber mit dem Zug kommen, in Ruhe. Ja wirklich etwas anschauen geht sich für mich, für uns, nicht aus. Nicht, dass wir uns nicht die Zeit dafür nehmen könnten, das ist nicht das Thema, aber viel anderes braucht Aufmerksamkeit und Zeit: Leonie und wir als kleine Familie, die Räder, die Wäsche, die Route für den nächsten Tag, Essen organisieren, Hygiene und den Blogbeitrag schreiben. Und überhaupt entwickelt sich durch das Dahinradeln eine Dynamik, die nicht wegen jedem Museum, jeder Kirche, jeder Skulptur im öffentlichen Raum unterbrochen werden will.
Wir radelten in Richtung Budapest, eigentlich also eine kurze Strecke, aber es war mühsam.
Von der Unbequemlichkeitsfähigkeit sprach Clemens Sedmak bei einem Vortrag den ich kürzlich hörte. Die Strecke heute war mühsam und richtig miserabel. Zum Teil war zwar aspaltiert, aber der Belag war in so arg Zustand, das wir lieber den schmalen Sandstreifen links und rechts der Fahrbahn nahmen, den sich die einheimischen Radlerinnen und Radler bereits ausgefahren hatten.
Für Johannes mit dem Anhänger war es extra anstrengend zu manövrieren. Auch wenn Leonie bei mir im Sitz war, hatte Johannes deutlich mehr Gewicht als ich. Ich hattee nur eine Packtasche oder Leonie. Alles andere war im Anhänger bzw. in Johannes Packtaschen. Ich hae zwar am Vorderrad einen Gepäckträger, aber der ist so wie er jetzt ist nicht nutzbar. Das Gewicht der Packtaschen ist so hoch, dass das Rad sehr instabil wird und die Taschen schlenkern gefährlich nahe zu den Speichen. Also – Johannes hatte eine schwere Fuhr.
Nein, wir hatten uns nicht verfahren. Das war die offizielle Eurovelo 6 Route. Und wir waren auch nicht irgendwo im ungarischen Hinterland, sondern rund 15 km außerhalb von Budapest. Ich kann mir vorstellen, dass so manche Budapesterin, so mancher Budapest von den den knapp 1,8 Millionen, raus radeln würde aus der Stadt. Vorausgesetzt es wäre vergnüglich – also ein guter Belag.
Wir erreichten die Stadt, wir fanden ein Gasthaus mit Blick aufs Parlament, wir fanden den Campingplatz Haller und waren froh gut angekommen zu sein.
Unsere Unbequemlichkeitsfähigkeit wurde heute gut gefordert und gefördert. Bei Sedmak ging es um die Fähigkeit eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer zurück zu stellen und war eigentlich nur ein Nebenaspekte in seinem Vortrag. Mich beschäftigt das Wort seither.
15. Tag, 26. Juni
Budapest – Ráckeve, 54 km
Raus aus der Stadt war noch anstrengend als rein. Wir fanden zwar die Eurovelo Route rasch, wollten dann aber möglichst wenig durch den starken Verkehr der nördlichen Csepel Insel fahren. Bis uns das gelang, war es mühsam. Am Ráckevei Duna Arm war es dann angenehm und interessant. Wie an den meisten österreichischen Seen reih sich Häuschen an Häuschen. Es gab alte, verfallende, hübsche und eigenwillige, solche die zu verkaufen waren und andere, die eben erst frisch renoviert wurden.
Nachdem wir, weil wir möglichst nah am Wasser bleiben wollten, den Weg verloren hatten, zwischenzeitlich auf recht unwegsamem Gelände unterwegs waren, fanden wir eine kleine Schenke mit Zugang zum Kanal. Ausgesprochen idyllisch war dort der Blick aufs Wasser.
Irgendwann kamen wir aufgrund der Hitze und des schon langen Tages ziemlich erschöpft beim Tor des Campingplatzes in Ráckeve an. Die dortige Rezeption war um halb fünf bereits geschlossen. Wir fuhren zur Rezeption der angeschlossen Therme, einige hundert Meter. Dort konnten wir auch für den Campingplatz einchecken. Wir sahen bereits die Menschen im Wasser pritscheln und konnten es nicht mehr erwarten selbst ins kühlende Nass zu kommen. Zurück zum Campingplatz. Der Chip öffnete das Tor nicht. Zwei Mal radelten wir noch zur Rezeption bis sich endlich das Tor öffnen lies.
Johannes baute das Zelt auf, Leonie und ich gingen gleich zum kühlenden Becken. Auf Thermalwasser mit 36 Grad hatten wir beide momentan keine Lust. Bis zum Zusperren verbrachten wir die Zeit im Wasser. Und dann war Johannes Brille weg. Auf dem Handtuch Beckenrand hatte er sie abgelegt. Oh shit! Er fragte bei der Rezeption, er redete mit den Bademeistern. So was blödes aber auch! Sie war nicht mehr auffindbar. Zurück beim Zelt mussten wir feststellen, dass die Wiesenflächen besprenkelt wurden. Von vorne und von hinten hatte unser Zelt Spritzwasser abbekommen. Zum Glück hatte Johannes nicht nur das Zelt aufgestellt, sondern auch alle unsere Sachen bereits hinein geräumt!
Wir jausneten noch und schliefen mit Froschkonzert vor der „Haustür“ erschöpft ein.
16. Tag, 27. Juni
Ráckeve – Dömsöd, ca. 15 km
Der Tag begann damit, dass ich eine Invasion schwarzer kleiner Ameisen von und aus unserer „Rauchkuchl“, wie wir die schwarze Packtasche mit unseren Küchenutensilien und Nahrungsmitteln nennen, beseitigte. Dann kam noch von Johannes die Vermutung, dass die weißen Rückstände der Sprenkelanlagen-Wassertropfen am Zelt von einem Insektengift stammen. Eigentlich kann man nur so schnell wie möglich weg wollen von diesem Platz. Aber mit Leonie war vereinbart, dass wir nochmals schwimmen gehen und Johannes wollte wegen der verschwundenen Brille noch zu den Bademeistern.
Leonie war gerade bei der brütenden Stockente, als ich Johannes zum Bademeister kommen sah. Allein wie er Johannes begrüßte, ließ mich wissen, dass sie die Brille doch tatsächlich wieder gefunden haben! Hurra! Ich hatte es nicht geglaubt. Johannes hatte die Vermutung, dass irgendein „blöder Bub“ aus Jux und Tollerei sich die Brille geschnappt hatte. Die Bademeister fanden sie in der Früh unweit des Haupteingangs. Was für eine Erleichterung.
Nach einer Tagesetappe rein nach Budapest und einer raus waren wir heute froh wieder ländlichere und ruhigere Gegenden zu erreichen. So gut wie die gesamte Strecke führte durch kleinen Wohnstraßen entlang des Ráckevei (Soroksári) Duna, einem schmalen Arm links des Donau-Hauptstroms. Ein Häuschen reihte sich an das andere, von jedem Haus führte ein Steg durch das Schilf zum Wasser. Schöne Gegend, entspannte sommerliche Atmosphäre, kaum kläffende Köter hinter den Gartenzäunen, nur selten ein Auto und ausreichend Beschilderung. Perfekt, wenn nicht wieder der Belag bzw. überhaupt die Fahrbahn in derart miserablem Zustand wäre: Löcher, Fehlstellen, seitliche Abbrüche. Man muss sich so aufs Fahren konzentrieren, besonders mit dem Anhänger, dass der Radlgenuß oft auf der Strecke bleibt. Bereits bei Dömsöd beschloßen wir Pause zu machen. Beim Restaurant Neptun wollten wir etwas trinken und vielleicht eine Weile im Wasser pritscheln. Vor dem Haus stand ein Schild „camping and rooms“ und wir entschieden zu bleiben.Schließlich sind wir nicht auf der Flucht, sagte Johannes. Eine gute Entscheidung. Wir verbrachten den Nachmittag im Wasser: Muscheln tauchen, pritscheln, alte Blattreste als Tattoo auf die Haut kleben und schauen, was wir vom Donau-Grund so alles herauffischen können.
Dem Einhorn die Libellen zeigen.
17. Tag, 28. Juni
Dömsöd – Dunaföldvár, ca. 40 km
Wenn es heißt, dass es ab neun Uhr Frühstück gibt, ist man es in Österreich gewöhnt, schon ab acht Uhr Geschirrgeklapper vermengt mit anderen Küchengeräuschen zu hören. Wir waren bereits alle drei eine Runde schwimmen, riefen uns Billard-Grundkenntnisse in Erinnerung und waren schon lange startklar als die Wirtsleute deutlich nach neun Uhr eintrafen. Nach einem geschmackvollen ungarischen Frühstück verabschiedeten wir uns vom absolut empfehlenswerten Gasthaus Neptun südlich von Dömsöd.
Wie gestern ging die Fahrt weiter durch die hübsche Gegend, die entspannte Atmosphäre, immer am Weg zwischen kleinen Häuschen und ihrem Donauzugang entlang. Mit dem Ende des Ráckevei Duna Arm endete diese angenehme Gegend auch und dann war nicht immer klar, wo der offizielle Eurovelo 6 verläuft, ob diese Trasse für uns mit Anhänger auch fahrbar sein wird oder wir auf einer anderen Route besser aufgehoben wären.
Auf der Eurovelo Karte waren für viele Streckenabschnitt Alternativen zur Hauptroute vorgeschlagen. Nicht immer stimmten die Fahrbahnangaben mit dem was wir vorfanden überein. Da gab es erfreuliche Überraschungen und mühsame. Nach dem Versuch bei Tass die asphaltierte Bundesstraße NR 51 zu nehmen, sind wir so schnell wie möglich wieder retour geradelt. Zu eng, zu schnell, zu viele vorbeiratternde LKWs, zu flott die Autos, zu schlecht der rechte Fahrbahnbereich. Einige Meter hinter mir hörte ich Johannes fluchen, unmittelbar hinter meinem Rücken sang Leonie: „der Donaufisch, der Donaufisch, der ist ein Frosch und geht mit meiner Laterne, bumm bumm labumm.“
Wir nahmen bei der nächsten Gelegenheit wieder den Damm, also den Wiesenweg. Kilometerweit ging es so dahin. Das Gras war kurzgefressen, vermutlich von Schafen, der Untergrund war unerwartet fest und wir kamen erstaunlich gut voran.
In Dunavecse gab es Mittagsjause und, da es sich quasi als Shopping-Parasies erwies, bekam Leonie eine neue (Ersatz)-Hose. Eine blaue Camouflage-Leggin war das bestmögliche Stück, das zu bekommen war.
Das letzte Teilstück des Tages war erfreulich gut. Wir radelten auf asphaltierten Radwegen nach Dunaföldvár zur inzwischen richtig breiten Donau. Am Campingplatz, mit rund 10€ der bisher günstigste aber halbwegs in die Jahre gekommene, waren außer uns nur zwei, drei andere Reisende.
Nach dem gestrigen Rasttag und dem nicht ganz so arg heißen Tag schafften wir heute die rund 40 km gut und waren nicht so erschöpft wie an manch anderen Tagen. Wir gingen ins nahe gelegene Freibad, bummelten durch den Ort und erprobten alle Geräte am großzügig angelegten Spielplatz. Offenbar aus einem großen Schwemmholz wurde dieses wilde Wesen geschaffen.
18. Tag, 29. Juni
Dunaföldvár – Kalocsa, ca. 60 km
„Wir können ja im Paprikamuseum in Kalocsa als Infotrainer arbeiten, wenn wir uns noch einlesen.“ sagte Johannes als ich bei zwei Banken mit jeweils zwei vschiedenen Bankomatkarten heute Früh kein Geld abheben konnte. Johannes war vor Beginn der Reise für Bargeld in der Hosentasche. Ich sagte immer, dass wir ja „eh einfach“ was abheben könnten, dass das praktischer sei und sicherer. Funktioniert offensichtlich nicht immer. Keine Sorgen, das ist kein Aufruf für einen Western Union Geldtransfer! Aber irritierend war es heute allemal, als ich nicht wie gewohnt an mein Geld kam.
Die heutige Strecke hielt einige positive Überraschungen für uns bereit, auch wenn der asphaltierte Damm bei Harta zwar in der Karte eingezeichnet war, in der Realität aber einfach endet.
Es führte uns die offizielle, gute Beschilderung durch mehrere kleine Dörfer. Interessant war es einen Eindruck vom Dorfleben zu erhaschen.
Eigentlich hatten wir in der Früh als unserer Tagesetappe den Szeliditópart Campingplatz etwas abseits der Donau in einem Naturreservat festgelegt. Als wir dann in der Nähe eine riesiges Plakat sahen, dass den Platz bewarb und dann noch junge Männer, die in Wochenend-Partystimmung dorthin unterwegs waren, war klar, das wir dort keine ruhige Nacht haben werden und wir drehten um. Wohin mit uns? Grund genug erst einmal Mittagspause zu machen. Wir fanden in Ordas direkt an der Donau, direkt bei km 1538, den idealen Platz dafür.
Eine Frau fotografiert uns und sagte uns auch, dass es in Kalocsa einen Campingplatz gäbe. Perfekt. Eine gute, noch machbare Distanz. Auf der Karte war der Platz zwar nicht eingezeichnet, aber dieses Thema kennen wir jetzt schon: es gibt Campingplätze wo keine eingezeichnet sind und wo Campingplätze eingezeichnet sind, gibt es keine.
Leonies Geduld wird immer wieder hart geprüft: Schon in der Früh war der Campingplatz-Wirt nicht da, als sie dringend ihr Eis wollte, dann sperrte uns vor der Nase, wir stellten gerade noch unsere Räder ab, in Dunapataj das Geschäft (12 Uhr) zu. Die sechs Frauen, die aus dem Laden kamen, die ihre Arbeit fürs Wochenende beendeten, haben vermutlich noch so einen lautstarken Kommentar zu ihren Öffnungszeiten erlebt. Wieder kein Eis. Endlich: In Géderlak gab es eine Kneipe an der Durchfahrtsstraße, mit Eis.
Nach Kalocsa gab es zwar einen richtigen Radler-Highway mit mittlerer Leitlinie, aber wie sich herausstellte, keinen Campingplatz. Wir checkten in der Penzio Alice ein. Auch wenn wir es im Zelt immer sehr fein haben, freuten wir uns alle drei über ein Zimmer. Dank an die Dame mit der Falschinformation!
19. Tag, 30. Juni
Kalocsa – Baja, ca. 53 km
Die Nacht im Zimmer war erholsam, der Start in den Tag ziemlich holprig. Nachdem wir unsere Getränke bereits getrunken hatten und das weitere Frühstück nach rund einer halben Stunde immer noch nicht da war, machten wir uns ohne Essen auf den Weg. Zum Glück hatte ein Bäcker entlang der Straße bereits offen. Das Paprika Museum wollten wir vor der Weiterfahrt anschauen, es scheint jedoch seit längerem in Umbau zu sein.
Dann nahmen wir den kürzeste Weg zum Donaudamm. Leider war er auch der schlechteste.
Dafür sah ich eine Frau am Feld, hinunter gebückt zu ihren Pflanzen. Zwischen all den schier endlosen Feldern, mit riesigen Maschinen bearbeiten, war diese so alte menschliche Tätigkeit inzwischen wieder zur Ausnahme geworden. Das Kultivieren von Land als Kulturtechnik scheint vom Aussterben bedroht zu sein.
Und dann ging es dahin und dahin. Dahin auf dem Damm, erst auf Schotterpiste bis Fajsz und dann auf Asphalt. Kaum blieben wir stehen, kaum war der Fahrtwind weg, waren die Gelsen da. Die Mittagsjausenpause fiel deswegen sehr kurz aus. Kein Dorf weit und breit, also auch keine Kneipe. Keine schattiger Rastplatz. Keine Donau in Sichtweite.
Wir radelten und radelten. Und dann, rund 8 km vor Baja, kam doch eine Gaststätte. Schicker Landhaus-Stil, schwere Mercedes und Co. davor geparkt. Rév Csárda, ein mehrfach ausgezeichneter Gourmettempel, war der Ort an dem wir gelandet waren. Das hatten wir nicht erwartet. Leonie war erst arg enttäuscht weil es kein Eis gab, aber konnte sich dann auch für die Pasta und vor allem die exquisiten Schoko-Desserts in alten Email-Tassen begeistern.
Jetzt waren die verbleibenden Kilometer bis Baja leicht zu schaffen!
Der Campingplatz in Baja lag auf der dortigen „Donauinsel“. Wir blickten wieder direkt auf das Wasser, badeten, kochten uns einen Gemüse-Linsen-Eintopf und gingen dann endlich auf ein Eis ins Stadtzentrum.
20. Tag, 1. Juli
Baja – Dunafalva, 25 km (+15 km extra Vaskút, hin und retour)
Kopfsteinpflaster ist wirklich schön, aber wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, ist man einfach nur froh wenn es wieder endet und Asphalt kommt. Und so radelten wir entlang der Fahrradwege munter und fit aus Baja raus. Was für ein Radweg! Breiter als viele die wir schon hatten, beschattet und mit super Fahrbahn. Als wir einen Ort namens Vaskút erreichten, wußten wir, dass wir falsch waren. Es gab keine Querverbindungsstraße Richtung Dunafalva und so hieß es, den tollen Radweg wieder retour zu nehmen. Zurück in Baja suchten wir nach der richtigen Straße und fanden einen Mann am Moped, der vor uns her fuhr um uns zur richtigen Straße zu bringen.
Dann ging es wieder am Damm dahin.
So drückend heiß wie heute war es bisher noch nie. Kein Schatten, ewig weit kein Dorf. Wir radelten bis Dunafalva und fielen dort überhitzt und durstig ins Wirtshaus (das es zum Glück gab) ein.
Eis und Wasser, Bier mit Wasser und Chips und noch ein Eis und noch ein Zitronenwasser. Damit kamen wir wieder auf normale Betriebstemperatur.
Online las ich vom Zöbart Camping in Dunafalva, einfach, aber direkt an der Donau soll er sein. Der Wirt sagte uns, dass dieser Platz geschlossen sei. Auch im Ort gegenüber war auf unserer Huber-Radkarte ein Campingplatz eingezeichnet. Der Wirt sagte, dass es den auch nicht gäbe. Im Laden neben dem Dorfwirt deckten wir uns mit Lebensmittel ein und fanden an der Donau gleich bei der Fährrampe einen Platz für eine Jausenpause.
Wir badeten und pritschelten in der Donau, auch wenn es dafür fast zu heiß war, in der Sonne. Entweder wir radeln weiter bis Mohacs. Laut Wirt solle es dort einen Campingplatz geben. Weder auf den Karten noch online finden wir einen. Oder wir zelten einfach so. Wir entschieden uns für Letzteres. Die Anlegestelle der Fähre war relativ stark frequentierten. Johannes fragte einen Mann nach dem Campingplatz, den es hier geben sollte. Der Mann sprach wie viele hier deutsch und sagte mit ausladender Armbewegung: „Kein Campingplatz, aber überall Camping.“ Er sagte Johannes auch noch, dass das hier sein Grund sei und wir campen könnten. So schliefen wir zwischen Damm und Donau das erste Mal außerhalb einer schützenden Struktur.
Soeben haben wir beschlossen morgen für zwei Nächte in Mohacs in einer Pension oder einem Hotel zu bleiben.
21 Tag, 2. Juli
Dunafalva – Mohács, 15 km
Deutschsprachige Ortsschilder, als Zeichen der hier ansässigen, sog. Donauschwaben, sind hier zu finden.
Der jetzt schon allen bekannte Donaudamm.
Wir starteten etwas früher als üblich und kamen am Damm rasch vorwärts. Ja, der Donaudamm – sehr, sehr viele Kilometer durch die Pannonische Tiefebene sieht er so aus: Überall wird gut geschaut, dass er nicht zuwuchert, viele Kilometer lange liegen Heuballen zum Abholen bereit. Er bietet eine eigentlich ideale Grundstruktur für einen Radweg, mit einer gewissen Aussicht auf das umliegende Land, aber eben komplett schattenlos.
Bald erreichten wir das Ufer gegenüber von Mohács. So wie in Dunafalva gab es keine Brücke sondern eine Fähre.
Kaum ausgestiegen wurden wir auf deutsch angesprochen ob wir Hilfe brauchen. Herr Fleischmann, dessen Großeltern Schwaben waren, fuhr mit seinem Rad vor uns her um uns den Weg zum Hotel zu zeigen, dass online passend für uns schien. Erst kauften wir allerdings eine große Ständer-Luftpumpe im gut bestückten Fahrradgeschäft von Fleischmanns Sohn. Johannes wollte sich nicht weiter auf die vorhandene Luftpumpen-Infrastruktur verlassen.
Der Hausbesitzer der Penzió Pegasus, ebenfalls mit deutschem Familienhintergrund, war gerade mit einem Fisch beschäftigt, fand aber dann gleich Zeit uns ein freies Zimmer zu zeigen. Selbstgefangen war der rund acht Kilo schwere Karpfen.
Wir wollten zwei Nächte bleiben: Es gab eine Waschmaschine und ein Pool, ein Moskitonetz vor der Balkontür, ein geräumiges Bad, drei Betten und im Ort sicherlich gute Gasthäuser.
Immer wieder, seit Komárom, sind wir von den abendlichen Anti-Gelsen-Manövern irritiert. War es in Komárom ein Flugzeug, dass Insektengift versprühte, sahen wir wie unweit der Penzion mit einer Vorrichtung an einem Auto irgendein Mittel versprüht wurde und sich als große Nebelwolken zwischen den Büschen und Bäumen verbreitete. Was versprühen sie konkret? Wie arg viele wären die Gelsen ohne diese Intervention?
22. Tag, 3. Juli
Mohács
Das Zelt bleibt heute verpackt.
Wir verbrachten einen Tag im gemütlichen, grünen Mohács, in dem alle Menschen mit denen wir ins Gespräch kamen, deutsche Wurzeln hatten.
Wir setzten uns an den gedeckten Frühstückstisch. Wir badeten im Pool. Wir machten aufgrund der mittäglichen Hitze eine ausgedehnte Siesta. Johannes wartet unsere Fahrräder.
Wir gestalteten und schrieben Karten für liebe Menschen zu Hause.
Wir besuchten den Mohácsi Lovasclub, einen gepflegten Reiterhof gleich nebenan und Leonie ritt auf Hengst Guru.
Wir pritschelten. Bisher hatte jede ungarische Stadt eine dieser öffentliche Kühl-Sprühpassage.
Wir freuten uns über andere Bewegung als in die Pedale zu treten.
Wie meistens wollte das Einhorn auch am Eis schlecken und sich im Dreck wälzen: „Es will ein Bazenlüpel sein!“ Nur selten ließ es sich daran hindern und musste deswegen oft in die Dusche.
Wir adaptieren das Langarm-Shirt dem Wetter entsprechend.
Und dann richteten wir abends noch unser Equipment damit wir morgen früh zügig nach dem Frühstück aufbrechen können. Es geht, retour über die Donau, nach Serbien. Mit der nächsten Tagesetappe liegen 417 Stromkilometer in Ungarn hinter uns und 450 in Serbien vor uns. Vor drei Wochen starteten wir in Linz bei km 2135, Mohács liegt bei km 1446 – also genau bei der halben Donau-Länge.
23. Tag, 4. Juli
Mohács – Bezdan, ca. 38 km
Noch im Halbschlaf hörte ich den Wind in den Bäumen rascheln. Dann war es doch Regen, der auf das Blechdach tropfte. Ich war froh, dass wir entschieden trotzdem weiter zu radeln. Nach zwei Nächten wollten wir beide dringend weiter reisen. Wir verpackten das Equipment möglichst regentauglich und los ging es. Erst noch Trinkwasser einkaufen und die Post aufgeben (was ein erstaunlich langwieriges Unterfangen war) und dann ab zur Fähre.
Vom linken Ufer auf der Höhe von Mohács radelten wir in einem Zug die knapp 30 km bis zur Serbischen Grenze am bereits bekannten, bestens asphaltierten Damm sehr flott dahin. Leonie schlief. Wir radelten. Es regnete, Mal mehr, Mal weniger.
Wir begegneten unserer erstes Schafherde mit Schäfer und zum Glück friedlichem Schäferhund. Wir begegnete zig ungarischen Soldaten und Polizisten, die über einen Streckenabschnitt von rund 15 km an der Grenze zu Kroatien patrouillieten. Eine absolut surreale Situation: Geschätzt 50, 60 Mann, rund alle drei-, vierhundert Meter am Güterweg zwischen den Feldern stehend, ins Handy schauend oder mit irgendwelchen Snacks beschäftigt. Die Bedrohung ist im Kopf. Aus den Feldern Kroatiens kommt sie jedenfalls nicht. Wir begegneten einem Fuchs, der zwischen den Grenzwachen umher irrte als ob er nicht genau wüsste, in welches Feld er laufen darf ohne sich strafbar zu machen.
Mit Johannes, heute als Tempomacher, passierten wir kurz nach Mittag bereit die Grenze nach Serbien.
Wegen dem Regen stellten uns bei den Grenzgebäuden unter und machten eine kleine Jausenpause. Leonie erfand sich wie oft ein Rollenspiel: „Die Oma zupft das Unkraut aus, weil das ärgert sie so.“
Ein großes Schild begrüßte die Eurovelo 6 Reisenden und verriet uns, dass die Donau 588 km durch Serbien fließt und die Hauptroute des Radweges 665 km beträgt. Los geht es: Wir radelten weiter bis Bezdan und machten Pause im Anna Caffe & Rooms, einer Lokalität ganz unerwarteter Art: eine Mischung aus Wiener Kaffeehaus mit chilliger Hotel-Lounge. Wir trockneten uns, tranken Limo und Kaffee, aßen Dobostorte und spielten mit dem vorhandenen Kinderspielzeug. Sehr gemütlich war es.
Johannes fragte wie viel die Zimmer kosten. Ohne es gesehen zu haben, beschloßen wir zu bleiben. Die paar Kilometer bis Backi Monostor, das wir als Tagesziel angedacht hatten, können wir morgen auch noch radeln. Wenn es nicht mehr regnet.
Das Zimmer war superschön, unterm Dach mit Galerie, eingepasst zwischen Dachbalken. Es war ein Raum zum Wohlfühlen.