Der Engel mit dem blauen Ohr

Angst ist das Thema des Schulworkshops zu dem ich unterwegs bin. Langsam bin ich unterwegs, den in stillen, dicken Flocken taumelt Schnee vom Himmel. Schnee, wie man ihn sich für den Abend des 24. Dezember wünscht. Da schleudert es mein Auto, zwischen Helfenberg und Haslach. Am Ende dieser nicht manövrierbaren Sekunden hängte das Auto, noch mit der Schnauze an der Straße, am Bankett, abschüssig hinter mir die Böschung. Shit.
Gut. Nix ernsthaftes passiert, nicht komplett den Hang hinunter gerutscht, nicht überschlagen, mit keinem Gegenverkehr kollidiert. Alles gut. Grundsätzlich. Was tun? Weinen und Johannes anrufen? Cool bleiben und den ÖAMTC anrufen, in dem Wissen, dass es dauert bis er kommt. Die Kinder in Ulrichsberg warten lassen? Die Polizei anrufen? Aber die ist auch kein Verein, der dafür zuständig ist, Autos aus Gräben zu ziehen. Die Feuerwehr Haslach anrufen? Mein Blick bleibt am Bauernhof oberhalb der Straße hängen. Bauernhof = Traktor. Traktor = aus dem Graben ziehen.
Schon stapfe ich durch den Schnee in Richtung Hof, höre unweit oben an der Bundesstraße ein dumpfes Geräusch. Ich muss mich sehr auf das Gehen konzentrieren. Der Schneematsch ist extrem rutschig.
„Nein, mein Mann ist nicht zu Hause, da kann ich ihnen nicht helfen und der Nachbar auch nicht.“ Und so hat die Bäuerin die Haustür wieder ins Schloss fallen lassen. Und am Wochenende wieder in die Kirche rennen, denke ich mir. Wieder die alte Leier von Mitmenschlichkeit runter beten. Beim einen Ohr rein, beim anderen raus, wie es scheint.
Doch den ÖAMTC anrufen? Ich gehe wieder, gleich über die rutschige Wiese hinunter Richtung Auto. Oben an der Straße ist ein LKW stehen geblieben. Vielleicht scheint es ihm bei der Schneelage zu waghalsig, die abschüssigen Kurven runter zu fahren.
Jedenfalls muss ich in der Schule anrufen, damit die Bescheid wissen. Ich sehe zum Auto. Da steht vor meinem ausgerutschten Wagen auf der Fahrbahn ein anderes dunkles Fahrzeug. Ist er hängengeblieben? Will er schauen was los ist?
Da hantiert ein Mensch mit Abschleppseil. „Wir brauchen den Haken“. Ich schau wortlos, perplex, versteh nicht gleich, was vor sich geht. „Der Haken muss irgendwo sein.“ Ich hatte doch noch überhaupt keine Idee, was jetzt die sinnvollste Lösung ist. Es ist alles noch plan- und aussichtlos. Ich wusste noch gar nicht, wer das Auto wieder auf die Straße ziehen wird. Und da steht jetzt jemand vor mir, hat bereits ein Abschleppseil an der Anhängekupplung seines Autos befestigt und fragt mich nach dem Haken.
Ich stehe und schaue und sehe ein tief türkisblaues Ohr, ein Sternenhimmelohr. Und ich stehe und sehe zwei knall-türkisblaue fein geschwungene Liedstriche.
Ja der Haken. Um das Auto herum, zum Kofferraum, der Hacken.
Und Sie? will ich fragen, was ist die Geschichte des blauen Ohres, wie kommt es zu den Liedstriche. Was für ein Wesen sind Sie, will ich fragen.
Ja, da ist er, der Hacken. Hacken eingeschraubt. Was muss ich tun? Einsteigen, starten, etwas Gas geben, vorsichtig. Es dauert keine zwei Minuten, mein Auto steht auf der Fahrbahn. Aquaworld Nussbaumer lese ich auf dem Auto vor mir.
Der Engel mit dem blauen Ohr packt sein Abschleppseil und fährt davon.
Perplex, ferngesteuert und immer noch nicht erfassend wie mir geschieht setze ich mein Auto in Bewegung und fahre Richtung Ulrichsberg.