Texte, mit dem Lauf der Zeit

Mit dem Lauf der Zeit entstanden Texte unterschiedlicher Art, in unterschiedlichem Rahmen,

Das, was man lernen kann, mit einem Kunstgeschichte Studium, ist unter anderem das Schreiben über das, was andere machen, insbesondere über das, was Künstler machen.

Schreiben ist für mich eine Möglichkeit der Aneigung. Mit dem „Worte finden“ für etwas, das zu sehen ist, etwas das räumlich erfahrbar ist, rückt es einem ein Stück näher.

Was will genau angeschaut werden? Was will textlich erfasst werden? Worüber soll geschrieben werden?

 

Natur- und KunstHolz

Ein Holz und noch eins – Souvenir aus Wien.
Erster Bezirk, weißer Raum, Kunstraum
auf gespannter Haut vibrieren Press-Holz-Klötzchen
bis sie zu Boden fallen, liegen
bis sich jemand bückt,
bis sie wieder darauf gelegt werden
auf die gespannte Haut.

Auf der Höhe des Tritonwassers, Donauinsel,
die Kaukraft der Schneidezähne beträgt 80kg pro Quadratzentimeter
im Weidenbaumstamm die Spuren,
zu Boden gefallen die abgenagten Stücke.

Bis ich mich bücke,
bis ich eins in die Hosentasche schiebe.
Gestohlen, kann man sagen,
von einem Werk-Kontext in einen anderen überführt,
kann man sagen.

Ob sie inzwischen gefallen ist, die Weide?

Der Bauer. 2005-2013

Die Zeitung der Landwirtschaftskammer kommt wöchentlich.
Achtundvierzig Seiten:
Stallklima
Pflanzenschutzmittel
Fleischpreisangaben
Sortenübersichten
Gebrauchtmaschinenanzeigen
Förderrichtlinien
Ertragstabellen
Mutterkuhprämien
Kichererbsen.
2005 endete eine Periode der EU-Agrarsubvention.
Ende der Mehrfachantragsformularhürden,
die Kühe Luxl und Laura wurden abgeholt,
die Wiesen und der Acker verpachtet.
Der Nachbar hat einen neuen Stall gebaut,
er hat siebenundzwanzig Großvieheinheiten.
Die Zeitung kommt bis heute wöchentlich ins Haus.
Die Zeitung besteht aus vierundzwanzig Bögen.
Drei Mal täglich wird der zentrale Ofen angeheizt
morgen, mittags, abends.
Jedes Einheizen braucht zwei Zeitungsbögen,
eine Zeitung reicht für vier Tage,
die verbleibenden Tage wird die Kirchenzeitung verwendet.

 

Wien, Wochenendausflug, 09/10. Feber 2013

der Balkon meiner Freundin

Flocken fallen auf die tönernen Töpfe, aufgereiht
entlang der Geländers der Dachterrasse,
dürre Halme
trockene Stängel
feine Fäden, gerade geknickt, gekräuselt, gewinkelt
ragen als schwarze Figuren aus weißen Schneehauben,
blieben vom Grün des vergangenen Sommers.
Salbei
Tomatenranke
die anderen Linien sind nicht mehr zu identifizieren.

Mit Blick auf die Bundeshauptstadt

Vom Hochbett meiner Freundin der Blick hinaus
Dächer und Rauchfänge
Antennen und Dachgauben
Satellitenschüsseln und Kirchtürme.
Vom Anstieg des Fünfzehnten, Rudolfsheim-Fünfhaus,
im Nachtdunkel ein Stück Lichtrund des Riesenrades,
der Stephansdom
und am Donauturm ein Warnsignal für den Flugverkehr, rot blinken.
Zwischen dem Rand des Dachterrassengeländers
und der Fensteroberkante bleibt dieses schmale Band mit Fernblick.

Sonntag, unterwegs zum Frühstück

Vor manchen Gebäuden schluckt die nächtlich gefallene Schneeschicht den Schall unserer Schritte. Die zarte weiße Decke, umhüllt die Solen der warm gefütterten Winterschuhe.
Vor manchen Gebäuden knirscht bei jedem Schritt der ausgestreute Rollsplitt zwischen Sohle und Asphalt. Das Profil meiner Winterschuhe, sie sind in ihrer vierten Saison, ist so flach, dass die scharfkantigen Steinchen nicht mehr darin stecken bleiben.
Vor anderen Gebäuden wurde Salz gestreut. Matsch spritzt weg, links und rechts. Mit fetter Schuhwichse gewappnet gegen weiße Salzränder. Vor dem Café Weidigner stampfen wir fest auf um möglichst wenig Schmutzwasser in die Wärme zu tragen.

von nach

Am rechten Streifen der vierspurigen Richtungsfahrbahn aus der Stadt hinaus,
Wochenendende.
Im Schneeflockentreiben reduziert sich unsere Geschwindigkeit
und die des regen Rückreiseverkehrs der entgegengesetzten Fahrtrichtung
die einen: aus der Provinz in die Bundeshauptstadt
die anderen: aus der Bundeshauptstadt in die Provinz.
Die einen wie die anderen: zurück.
Doppelte Leitblanken, Gestrüpp und Schneewähen zwischen uns.
Immer geradeaus zwischen den Lärmschutzwänden.
Erst nach der Ausfahrt wird es ruhiger, langsamer
in die Kurven zwischen flachen Feldern.
Der Nebel bildet eine schmale Schichte parallel zum Boden, exakt begrenzt die Sicht auf Augenhöhe.
Die Gegenfahrbahn m mit farbiger Markierungen abgegrenzt, kaum ein Auto, das uns gegnet
auf der Landstraße ins Hinterland nördlich der Donau.
Dann die Abzweigung, einbiegen in den Güterweg,
zwischen den Schneestöcken sichtbare Ausbuchtungen hinaus,
links und rechts auf das Bankette, Spuren der Ausweichmanöver bei Gegenverkehr.
Der Straßenbelag ein Flickwerk mit Schlaglöchern.
An der Gabelung mit der Sackgassentafel, nach rechts,
am Waldrand beim Haus endet die befestigte Straße.
Irgendwo unterwegs unbemerkt hat es aufgehört zu schneien.

 

 

Rainer Stangl „Ay ay Blume!“

„Die breite Palette an Motiven ist in den Gemälden Spangls mit der gleichbleibenden Methode der Übersetzung ins Bild gekoppelt. Dieser Aspekt macht für mich die Spannung in seinen Arbeiten aus. Mit den Werken von Spangl lassen sich von ihm beobachtete und übersetzte Strukturen gesellschaftlich konstruierter Hierarchien ausloten. Er entlarvt sie, alles wird auf gleichförmige Elemente nivelliert. „Ay Ay Blume“ – so der Titel der Ausstellung den Rainer Spangl gewählt hat. Das lautmalerische [:ai:] referiert auf das Salutieren als untertänige Geste gegenüber einer Obrigkeit: „Ay Ay Sir!“ Mit Blick auf die präsentierten Gemälde klingt darin auch die Frage nach der Hierarchisierung und zugeschriebener Wertigkeit von Dingen, Objekten oder auch Plätzen, an. In einer Zeit, die vom Bedarf nach Aufmerksamkeit, von manipulativen Methoden des Sichtbarmachens geprägt ist, löst sich in den Werken von Spangl jegliche Art von konstruierter Hierarchie und Zuschreibung in gleichwertige Farbelemente auf. Gleich auf welches Motiv er seine Aufmerksamkeit fokussiert, gleich ob historisches Sammlungsobjekt, alternde Äpfel im Flechtkorb oder sommerliche Haufenwolken – im Herstellungsprozess der Gemälde wird alles in gleichförmige Partikel übersetzt. Spangl dazu: „Wenn es etwas gibt, dem ich salutiere, dann ist es die Blume.“

Textauszug

Publiziert in: Katalog des Ausstellungszyklus 2009-11 der Initiative akta Salon Schreinergasse (St. Pölten), ISBN 978-3-9503054-0-1